Rechte Wange

Gedanken zu Mt 5,38-42

Die linke Wange hinhalten, wenn man schon einen Hieb auf die rechte Wange bekommen hat? Ist das nur eine schöne Utopie oder eher ein Zeichen von Feigheit oder gar sklavischer Unterwürfigkeit? Zum Frage der Utopie möchte ich hier Stellung nehmen während die Frage nach der Feigheit an anderer Stelle beleuchtet werden soll.

Um die Frage nach der Utopie zu beantworten zu können muß man sich Fragen, wie wörtlich ist der Spruch zu nehmen und was soll er überhaupt bedeuten. Fragt man die Theologen so bekommt man gerade an diese Stelle bei 2 Theologen mindestens 3 Meinungen. „Das Ganze ist nur ein utopisches Beispiel christlicher Nächstenliebe und nicht wörtlich gemeint.“, „Das ist die Aufhebung des ‚Aug um Aug’-Prinzips des AT“, „Christus hat die ‚Adeligen’ mit ihrem ‚Prinzip der unbedingten Satisfaktion’ vorhergeahnt und diese gebrandmarkt“, „Wenn ich meinem Feind die andere Wange hinhalte, dann beschäme ich ihn vielleicht und bekehre ihn zum Guten“ und schließlich „das kann man nur im Zusammenhang verstehen“ sind typische Aussagen wenn dieser Satz angesprochen wird. Jede dieser Aussagen hat etwas Wahres, aber ganz so leicht darf man es sich meiner Meinung nach nicht machen. Ich fürchte man muß diesen Satz, wie jede Stelle der Bergpredigt aus der er stammt, wörtlich nehmen und im Zusammenhang sehen in dem er steht um ihn zu verstehen.

Es heißt dort: „Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist: Auge um Auge Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die linke hin.“ Der erste Gedanke: „Klar das Gebot ‚Aug um Aug’ gilt nicht mehr sondern jetzt heißt es ‚Wange hinhalten’. Eindeutige Anweisung wenn auch etwas utopisch.“ Tja, wenn das nur so einfach wäre. Ein halbes Kapitel vorher steht nämlich: „ Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen um aufzuheben sondern um zu erfüllen“ (Mt 5,17-20). Soll das etwa heißen, die Wange hinhalten wäre eine Erläuterung oder Erweiterung des ‚Aug um Aug’-Gebots? Dieser Gedanke ist erst einmal unvorstellbar zumal der mittlere Satz scheinbar dagegen spricht. 

Um diesen Widerspruch aufzulösen sollte man sich zuerst das Gebot des Alten Testaments genauer ansehen. Zu der Zeit als das Gebot festgehalten wurde, gab es – wenn es überhaupt Gesetze gab – nur sehr drastische Strafen. Kleinste Vergehen wurden – sofern sie nicht Resultat eines ehrlichen Kampfes waren - normalerweise mit dem Tode oder bei Bagatelldelikten mit grausamster Folter/Verstümmelung bestraft. Unter solchen Bedingungen war ein Gesetz ‚Aug um Auge, Zahn um Zahn’ eine geradezu revolutionäre Bestimmung zur Gewaltbeschränkung. Es sollte Gerechtigkeit herrschen und die Rache, das 7-fache Vergelten stand allein Gott zu. Auch die nachfolgenden Gesetze, z.B. daß dem Feind entlaufenes Vieh zurück-gebracht werden solle oder dem Feind auf einem Esel (also in Friedensmission) ein neues Reittier zur Verfügung gestellt werden soll wenn dies zusammen bricht (damit er die Mission abschließen kann) zeigen die menschliche Seite des in unseren Augen harten Gesetzes. Und es sei mir erlaubt zu sagen, daß ich mir wünschte im Kampf Juden gegen Palästinenser würde endlich dieses Gesetz eingehalten.

Nun zum zu dem Wangengebot: Ich glaube es ist zum Verständnis extrem wichtig, daß es sich um die rechte Wange handelt, auf die geschlagen wurde. Dem Evangelist Lukas scheint dies nicht aufgefallen sein sonst hätte er vermutlich weder hier noch später beim Mantel und Hemd den scheinbaren Widerspruch aufgelöst.

Versuchen Sie einmal Ihrem Nachbarn auf die rechte Wange zu schlagen – muß ja nicht fest sein. Sie werden feststellen, es funktioniert nur wenn sie mit der linken Hand schlagen – und dies galt damals als heimtückischer, unehrenhafter Schlag. (Und selbst wenn sie damals mit dem Schild, der links getragen wurde, zugehauen hätten, dann würden sie auch nur die linke Wange treffen.) Wenn ihnen also jemand auf die rechte Wange schlägt, dann gibt es 2 Möglichkeiten: Entweder handelt es sich um einen rohen, bösartigen Menschen, der sich der Ungeheuerlichkeit seiner Tat gar nicht (mehr) bewußt ist, oder ein verzweifelter Mensch, der keinen anderen Weg mehr sieht sich zu verteidigen bzw. Sie anzugreifen. 

Nach dem Buchstaben des Gesetzes hätten Sie jetzt das Recht genauso unfair zurückzuschlagen, doch Jesus stellt fest, daß dies nicht den Sinn des Gesetzes trifft. Um den Sinn des Gesetzes zu treffen, soll man vielmehr seinem Gegner die Gelegenheit zu einem offenen, fairen Kampf geben, in dem man die linke Wange hinhält. Wie dieser Kampf geführt werden soll, solange er im Sinn einer Beilegung des Streites, also der Versöhnung, geführt wird, sagt Jesus hier nicht. 

Aber mancher Streit muß ausgetragen werden, damit er endgültig beigelegt werden kann. Mir hat jemand vor langer Zeit gesagt, daß in Deutschland so viele Ehen scheitern würden weil die deutschen Ehepartner verlernt hätten, zu streiten. Wenn man also bildlich gesprochen auf die linke Wange seines Gegenübers wie auf einen Sandsack einprügeln kann, aber nichts passiert, dann kommt irgendwann der Moment an dem man aus lauter Verzweiflung auf die rechte Wange haut. 

Ähnlich sehe ich auch die Sache mit dem Hemd und dem Mantel. Auch hier gab es strenge Regeln, wann und unter welchen Bedingungen ein Mantel als Pfand gegeben bzw. gefordert werden durfte. Wenn also jemand anstelle des wertvollen Mantels auf einmal nur das i.A. weniger wertvolle Hemd fordert, dann hat er einen Hinter­gedanken. Zum einen mag es pure Verzweiflung sein, weil schon bekannt ist, daß der verpfändete Mantel zurückgegeben werden muß, auch ohne daß die Schuld beglichen wird. Zum anderen mag es auch Rache (ähnlich wie der Jude Shylock in Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ mit seinem Pfund Fleisch) sein, daß der reiche, überhebliche und meist zahlungsunwillige Schuldner gedemütigt werden soll, in dem er sich öffentlich entblößen soll. Wenn es also schon so weit gekommen ist, soll man sich nicht ‚Aug um Aug, Zahn um Zahn‘ an einer Schlammschlacht beteiligen, sondern die Flucht nach vorn wagen und neben dem Hemd auch freiwillig den Mantel abgeben (und zwar noch vor dem Gang zum Gericht – also privatim vergl. MT 5.25).

Dies gilt meiner Meinung nach auch im übertragenen Sinne, da der Mantel früher nicht nur Reichtum sondern auch Amt und Würden repräsentierte. Die Politiker, Manager und Stars beispielsweise sollten sich gut überlegen wie lange sie an ihrer Position kleben wollen. Sonst kommt irgendwann der Moment wo nicht mehr nur die Freigabe des Postens sondern auch noch die Preisgabe der persönlichen Integrität oder gar Würde gefordert wird.

Zuletzt komme ich zu der Meile die zu gehen man gezwungen wird. Natürlich könnte es sich hierbei um einfachen Frondienst handeln, zu dem gerade die Römer gerne die Juden preßten (man denke an Simon von Cyrene). Doch ich fürchte auch hier geht es um etwas Gravierenderes und zwar um die Forderung nach „Freiem Geleit“ nachdem man die „heilige“ Gastfreundschaft genossen hat. Ebenfalls eine unge­heuerliche Verzweiflungstat auf Grund eines vollkommen zerrütteten Vertrauens­verhältnisses. Diese Verletzung der Gastfreundschaft soll nun dadurch „geahndet“ werden, daß man den Gastfeind nicht nur an die Grenze des eigenen Machtbereichs begleitet, sondern auch noch darüber hinaus ggf. sogar in den Einflußbereich des Gastfeindes. Eine vertrauensbildende Maßnahme, die vielleicht sogar zur Versöhnung führen kann.

Ich glaube, daß in diesem Sinne die Sache mit der rechten Wange keinesfalls als utopisch oder weltfremd zu betrachten ist. Es geht meiner Meinung nach, nicht um eine übertriebene Friedfertigkeit oder Unterwürfigkeit, sondern um den Aufbau einer neuen Basis auf der man zur Versöhnung kommen kann. Und dies kann, ja soll dadurch erreicht werden, daß man ungeheuerliche Verfehlungen nicht gleichartig beantwortet, sondern seinem Gegenüber die Gelegenheit zur Beilegung der Zwistigkeit gibt, sei es in der fairen Auseinandersetzung, in der Freigabe von angestrebten Positionen oder im Gespräch auf dem Weg zum gegnerischen Lager.

 

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